Das durch den SNF geförderte Projekt untersucht aus tanzgeschichtlicher Perspektive autobiografische ‚Erzeugnisse‘ von Tänzer_innen und Choreograf_innen (19. bis 21. Jahrhundert). Als Wissens- und Erfahrungsspeicher bieten diese einen einzigartigen Fundus an oftmals alternativ perspektivierten Informationen für die Tanzgeschichtsschreibung, wobei ihr spezifischer Quellenstatus berücksichtigt und stets mit reflektiert werden muss.
Auto_Bio_Grafien, d.h. Beschreibungen (grafie) des Lebens (bio) Einzelner durch diese selbst (auto), werden in ihrer performativen Verfasstheit zur Konstitution und Ermächtigung des/eines ‚Selbst‘ begriffen. Der Fokus ist dabei ein doppelter: Einerseits soll ein historisch, (tanz-)kulturell und medial möglichst breites Spektrum an Darlegungen verschiedener Tänzer_innen-Leben je exemplarisch erfasst, thematisch untersucht sowie im Zusammenhang historiografisch ausgewertet werden; andererseits gilt es, das Verhältnis zwischen den jeweiligen tanzhistorischen Diskursen und den autobiografischen Er-/Zeugnissen zu reflektieren und (neu) zu be-/schreiben.
Folgende Fragen sind erkenntnisleitend: Wie ist mit Selbstaussagen von Tänzer_innen etwa in Bezug auf das jeweilige Tanzverständnis, die (tanz-)historischen, phänomenalen und medialen Kontexte umzugehen? Wie werden ‚Tanzerfahrungen‘ jeweils diskursiviert und/oder performativ präsentiert? Und wie ist damit historiografisch zu verfahren bzw. welche neuen Erkenntnisse lassen sich im Hinblick auf die Tanzgeschichtsschreibung sowie auf die Autobiografieforschung daraus ableiten?
Ziel ist eine tanzwissenschaftlich fundierte Bearbeitung des Themas. Das Projekt basiert auf interdisziplinärer Forschung zu Autobiografik, nimmt dabei aber disziplinär ein eigenes, weites Korpus zusammenhängend in den Blick, macht dieses fachspezifisch produktiv und wiederum fachübergreifend anschlussfähig. Als konsequente Weiterverfolgung und innovative Erweiterung der bisherigen historiografischen und diskursanalytischen Forschung zielt das Projekt (bestehend aus drei Teilprojekten) auf eine Revision der Tanzgeschichte bzw. der Tanzgeschichtsschreibung, indem es den Fokus sowohl auf schriftliche ‚Selbstzeugnisse‘ von Tänzer_innen richtet (d.s. in Buchform publizierte oder als Manuskripte greifbare Autobiografien), aber auch auf mündliche (Oral History-Gespräche mit Zeitzeug_innen) und auf aufgeführte (Stücke, Choreografien, Performances) – stets unter Beachtung ihrer jeweiligen Verfahrensweisen und ihres epistemologischen Potentials.
Damit schafft das Projekt ein (tanz-)wissenschaftliches Innovationsfeld, das einerseits auf die Gegenstände, andererseits auf Methoden zielt und die Autobiografieforschung erstmalig grundlegend als Teilgebiet der Tanzhistoriografie etabliert. Im Laufe der vierjährigen Projektphase (1.9.2020-31.8.2024) sind mehrere Publikationen vorgesehen (print, open-access und digital) sowie öffentliche Workshops zum Verhältnis von disziplinärer und interdisziplinärer Autobiografieforschung einerseits und zu Erinnerungs- und Archivierungsprozessen im Tanz andererseits.
Teilprojekt A (C. Thurner): Auto_Bio_Grafie als Quelle der Tanzhistoriografie
Teilprojekt B1 (J. Wehren): Erinnerungen erzählen. Zur Oral History-Methode im Tanz
Teilprojekt B2 (E. Waterhouse): Autobodyography: Our Dancing Bodies
Teilprojekt C (N. Rothenburger): Auto_Choreo_Grafie