AUAWIRLEBEN, ist alles gesagt?
Bei auawirleben sicherlich nicht, denn das Festival beansprucht für sich die großen Themen: Rechtsruck, Diskriminierung und die in Ungunst geratene Streitkultur.
11 Tage lang konnten die Theatermacher_innen und Festivalbesucher_innen Bern als Ort des Austauschs, des kritischen Denkens und des leiblichen Wohlbefindens ein- und annehmen.
Und was haben wir davon gesehen?
In Workshops, Lecture Performances und im Setting einer konventionellen Bühnensituation sahen wir Männer, die uns Dinge erklärten, von denen sie keine Ahnung hatten; eine Reise durch die Geschichte des Urheberrechts; ein Visual Poem im Brave-New-World-Schick; einen Einblick in die Sprachen von Gehörlosen; und eine vermeintlich ethnografische Feldforschung in Tijuana.
An wen richtete sich das Festival?
Die Kuratorinnen haben das im Festivalnamen eingeschriebene „wir“ ernst genommen. Neben integrativen Angeboten für die Besucher_innen haben sie auch nach ästhetischen Positionen gesucht, die etablierte Sehgewohnheiten kritisch unterlaufen und damit ein diverses Publikum ansprechen. Haben manche Stücke einfachen Wohlfühlcharakter gehabt? Definitiv! Hätten die Festivalkuratorinnen noch radikaler auswählen können? Sicherlich!
Wie hat das Festival auf aktuelle Problemfelder der Theaterlandschaft reagiert?
Obwohl der Schwerpunkt der zweiten Festivalwoche doch primär auf der Darstellung von weißen Körpern und von männlichen Theaterpraktikern in ihren Vierzigern lag, bot das Festival insgesamt eine große Perspektivenvielfalt – von Jess Thom’s Stand-Up Comedy bis zur performativen Installation „Given That“ der Spieleberatung.
Inwiefern entspricht diese Perspektivenvielfalt dem innovativen Imperativ der Festivalkultur?
Innovation braucht Forderungen. Sei es auf einer ästhetischen, politischen oder einer sozialen Ebene. Letzteres erscheint bei auawirleben sehr zentral. Die Kuratorinnen verstehen sich als „Meinungsmacherinnen“ und nehmen diese Verantwortung ernst. Also:
Reden wir miteinander und kommunizieren nicht nur aneinander vorbei!
Wir, Wissenschaftler_innen, Theatermacher_innen und Festivalbesucher_innen, tragen die Verantwortung, den Status quo (der Arbeitsbedingungen, der Narrative und der Machtstrukturen) der bestehenden westlichen Theaterkultur herauszufordern. Es geht uns alle etwas an! Für uns heißt das:
Leben lassen – für ein Verständnis von Theatermachen als Beruf ohne Appropriation eines neoliberalen Lebensstils;
Engagement zeigen – für die Sichtbarmachung von marginalisierten Stimmen, ohne Top-Down-Perspektive;
Banden bilden – um neue Narrative ohne male gaze zu etablieren und sich gegen einen romantischen Geniekult zu positionieren;
Experimente wagen – mit Formen, Ästhetiken, Themen und Arbeitsweisen
– und damit auch eine Festivalkultur leben, die
Nachhaltigkeit fördert, ohne diese als Ausrede für eine fehlende Perspektivenvielfalt zu verwenden!
(Alina Aleshchenko und Yana Prinsloo, 19.5.19)