Mediengebrauch im Gegenwartstheater. Kaum eine Klassikerinszenierung verzichtet heute auf die Kombination von Theater und Video. Die Inszenierungen von Frank Castorf, Stefan Pucher und Matthias Hartmann gehen über rein dekorativen Medieneinsatz hinaus und erweitern mit Hilfe von Video die Zuschauerperspektive.
Das Verhältnis von Theater und Film gibt zu reden, seit die Bilder laufen lernten. Doch Theaterfilme sind weit mehr als verfilmte Dramen. Die Filme Dogville und Idioterne des dänischen Regisseurs Lars von Trier erscheinen als Hybride zwischen Film und Theater.
Sogar Theater und Telefon haben sich gefunden. Die Theatermacher Rimini Protokoll schicken in der Produktion Call Cutta das Publikum einzeln auf einen Stadtrundgang durch Berlin, geführt über Handy von einer Stimme aus einem Callcenter in Indien. Wer stellt hier noch für wen dar?
Christoph Schlingensief zählt in allen seinen Aktionen, die Grenzgänge zwischen Kunst und Politik sind, auf die Mitarbeit der Massenmedien. Vor seiner Zürcher Inszenierung von Hamlet sollte gar eine Volkspartei abgeschafft werden. Drängt sich da nicht ein Vergleich mit der Sozialen Plastik seines deklarierten Vorbilds Joseph Beuys auf?
Medien eröffnen im Theater neue Raum- und Zeitdimensionen. Flüchtige Räume und bizarre Zeitreisen sprengen den Guckkasten der Stadttheater. Das Buch Theater im Kasten diskutiert Möglichkeiten der Systematisierung solcher Theater-Medien-Beziehungen.
Die Aufmerksamkeit der Lesenden soll durch die dichten Beschreibungen von Inszenierungen vor allem auf die unterschiedlichen Formen des Einsatzes von Medien im Theater und des Verhältnisses beider zueinander gelenkt werden. Partikel des Flüchtigen zu dokumentieren, dies war ein Ziel des Vorhabens. Und so endet das Buch nicht zufällig mit einem dreidimensionalen Koordinatensystem – einem Baukasten – für die Aufführungsanalyse, in welchem sich wie in einem Netz die Partikel des Theaterlebens ansammeln.
Besprechungen
Wird Theater zum Film, wenn – wie bei Castorf, Hartmann, Pucher – auf der Bühne Videokameras und Projektionsflächen eingesetzt werden? Wird Film zum Theater, wenn – wie bei Lars von Triers Dogville – Konventionen und Ästhetiken von Theater übernommen werden? Wie lassen sich die Grenzgänge zwischen Theater und Stadtraumaktion bei Rimini Protokoll oder zwischen Theater und Politik bei Joseph Beuys und Christoph Schlingensief begrifflich fassen?
Diesen Fragen stellt sich das Buch Theater im Kasten, das Andreas Kotte, Direktor am Institut für Theaterwissenschaft der Uni Bern im Chronos Verlag herausgegeben hat. Der Band umfasst fünf eigenständige Arbeiten sowie einen Anhang mit Interviews und einem exemplarischen Sequenzprotokoll. Jede einzelne der Arbeiten, als Lizentiatsarbeiten an der Uni Bern entstanden, besticht durch ausführliche und präzise Aufführungs- und Ereignisbeschreibungen, durch fundierte historische Kontextualisierungen und umfangreiche Materialdarstellungen.
[…] Das selbstformulierte Ziel des Buches, “Partikel des Flüchtigen” zu dokumentieren, wurde eingelöst, die Partikel sind feinsäuberlich gesichtet, sortiert und liebevoll ausgestellt. Theater im Kasten bietet keine Theorie des Theaters, aber vielleicht einen kleinen Baukasten dafür. Dass in der Zusammenstellung der fünf Lizentiatsarbeiten die theoretische Flanke offen bleibt, verweist auf das Praktische an einem Kasten: Im Gegensatz zur Kiste ist er nur an fünf Seiten geschlossen und an einer offen und ermöglicht so stets neue Zugriffe.
-- Stefan Bläske auf rezens.tfm