In zeitgenössischen, politischen Performances lässt sich die Tendenz beobachten, dass Emotionen sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch inszeniert werden, um ethische Aussagen zu machen. Diskriminierende und verletzende Verhaltensweisen werden kritisiert, ein alternativer, verantwortungsbewusster – fürsorglicher – Umgang untereinander gefordert und praktiziert. Mit Sara Ahmed (2014) lassen sich Emotionen als performativ, als ‹doing› verstehen, welche nicht subjektiv-individuell entstehen, sondern massgeblich historisch, sozial und kulturell konstituiert sind und damit Körper und Gruppenzugehörigkeiten überhaupt erst hervorbringen. Vermeintlich ‹abgegrenzte› Subjekte werden so brüchig, fluide und bilden ein interdependentes Netzwerk (Butler 2010, 2016). In einem weiteren Schritt kann im Zuge dieser gegenseitigen Abhängigkeit Verantwortungsübernahme ethisch gefordert werden (Held 2006). In den betrachteten Performances werden Emotionen wie Empathie und Mitgefühl als hegemoniale Machtstrukturen erhaltend (Pedwell 2014) und Gefühle wie Wut über Ungerechtigkeit (Lorde 1984) oder Scham über getätigte, gewaltvolle Handlungen (Probyn 2005) in ihrem transformativen Potential verhandelt und erfahrbar gemacht.
Das Projekt orientiert sich somit an folgenden Fragen:
Mit welchen szenischen Mitteln werden in zeitgenössischen Performances Emotionen ästhetisch-dramaturgisch fruchtbar gemacht?
Inwiefern werden mithilfe sprich anhand konstituierten (gezeigten) Emotionen/Affekten ethische Aussagen und Forderungen gestellt?
Wie kann über ein performatives Verständnis von Emotion ethische Verantwortung hergeleitet und begründet werden?
Inwiefern lassen sich diese Praktiken (ästhetisch und strukturell) in ihrer Abgrenzung zum aufklärerischen, westlich-patriarchalen Kunst- und Theaterverständnis als widerständig und transformativ fassen?
Methodisch baut sich die Arbeit aus drei Teilen auf, welche in einem wechselseitigen Verhältnis stehen und sich gegenseitig informieren. Erstens werden historische Kontingenzen diskursanalytisch genauer herausgearbeitet, kritisch kontextualisiert und auf eingeschriebene Ausschlüsse untersucht. Zweitens werden ästhetisch-dramaturgische Strategien bezüglich des Verhandelns von Emotionen in zeitgenössischen, politischen Performances aufführungsanalytisch herauskristallisiert. Dabei werden diese Inszenierungen in ihrem jeweiligen Aufführungskontext als Ereignisse betrachtet, womit drittens der Blick auf umgesetzte fürsorglich-ethische Praktiken wie Awarenesskonzepte und Inhaltsinformationen gelenkt werden kann. Das Dissertationsprojekt operiert somit an der Schnittstelle von Theaterwissenschaft, Affect Studies und Care Ethik und versucht, ästhetisch-dramaturgische und strukturelle Prozesse und Mechanismen verschränkt zu denken.