Nele Solf

Doktorat

E-Mail
nele.solf@unibe.ch
Büro
Büro 196, 1. Stock
Postadresse
Universität Bern
Institut für Theaterwissenschaft
Mittelstrasse 43
3012 Bern

Forschungsschwerpunkte

  • Gegenwartstheater
  • Performancetheater
  • Freie Szene
  • Fiktionstheorie

Nele Solf wurde 1987 in Berlin geboren und hat drei Jahrzehnte dort gelebt, bevor sie nach Zürich übersiedelte wo sie im Februar 2020 ihren Master in Dramaturgie abschloss. Nele ist Theaterschaffend:e und Literatur- und Theaterwissenschaftler:in und tätig als Dramaturg:in, Autor:in, Lektor:in, Herausgeber:in, Organisator:in und Vermittler:in in diversen Kollektiven und Institutionen. Nach dem Abitur studierte Nele Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Für das Studium erhielt Nele ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Seit 2014 versteht Nele sich als Mitglied des Zürcher Aktivismus-, Performance und Theaterkollektivs Neue Dringlichkeit und hat seitdem massgeblich an verschiedenen Produktionen als Leiter:in, Autor:in, und Performer:in mitgewirkt. Seit August 2020 promoviert Nele am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern im Schwerpunkt Gegenwartstheater.

Theaterproduktionen an denen Nele in den letzten Jahren mitwirkte waren unter anderen: «Der Widerspruch – Ein Langzeitprojekt» (2018-2020, Zürich, Tübingen, Stuttgart), «Koloniale Grüsse aus Samoa» (2019, Neumarkt Zürich), «Maybe Baby» (2018, Theater der Künste Zürich), «ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT» (2017, Gessnerallee Zürich & Produktionsplattform «Techne» des Künstlerhaus Stuttgart und Theater Rampe, Stuttgart).

Fiktionale Kippfiguren im zeitgenössischen schweizer Performancetheater (AT)

Im letzten Jahrzehnt liess sich ein Anstieg recherchebasierter Theaterproduktionen beobachten. Oft die Gegenstände in den persönlichen Erfahrungen der Performer*innen verankert. In diesen Produktionen – irgendwo zwischen Dokumentartheater, Beichte und Lecture Performance – erzählen die Performe*innen Geschichten, von denen sie behaupteten, sie seine autobiografisch, also faktual. Im Verlauf der Stücke wird Faktualität durch verschiedene dramaturgische und inszenatorische Strategien plausibilisiert, nur um dann wieder subvertiert zu werden. Eine bizarre Behauptung, eine Unstimmigkeit, eine Eskalation sähen Zweifel und die klare Unterscheidung von Fakt und Fiktion, Autobiografie und Autofiktion löst sich auf und wird zum Vexierbild, zur Kippfigur.

Die Literaturtheorie hat ein ausdifferenziertes Vokabular zur Beschreibung und Unterscheidung von Phänomenen der Fiktionalität und Faktualität entwickelt, während es der Theaterwissenschaft oft noch an den Begriffen dafür fehlt, besonders, wenn es um Probleme der Ambiguität geht. Während der Fiktionalitätsstatus in Produktionen des dramatischen Stadttheaters oft nicht infrage steht, ist es vielversprechend Fiktionalitätstheorien auf andere Theaterformen anzuwenden. Um konzise und methodisch über Fiktionalität in Theater und Performace zu sprechen ist es hilfreich, vertiefte Kenntnisse aus Theaterwissenschaft und Literaturwissenschaft, sowie aus der praktischen Arbeit am Theater zu verbinden. Ich habe Literaturwissenschaft mit einem Schwerpunkt in Fiktionalitätstheorie sowie Theaterwissenschaft und Dramaturgie studiert und als Theatermacher:in in Zürich gearbeitet und werde diese Hintergründe in meiner Untersuchung zusammenführen.

Die oben genannten fktionalen Kippfiguren werden von den Künstler:innen bewusst und sorgfältig gestaltet. Postdramatische Theaterschaffende der Schweizer und Deutschen Freien Szene wie Boris Nikitin oder die Frauen und Männer des Kollektivs Markus&Markus konstruieren viele ihrer Werke rund um solche Ambiguitäten. In seinem Stück «Hamlet» nutzt Nikitin biografisches Material – eigenes und das des Perfomers Julian Meding – um eine sich steigernde Unsicherheit über die Verlässlichkeit der Geschichten, die Meding über sich erzählt, zu erzeugen. Im Nachfolgestück «Versuch über das Sterben» reflektiert Nikitin über «Hamlet», legt dar, wie er die Grenze zwischen Autobiografie und Autofiktion verwischt hat und wie diese Praxis in seiner eigenen Identität als homosexueller Mann wurzelt. In «Ibsen: Gespenster» begleitet das Kollektiv Markus&Markus eine Frau, die begleitete Sterbehilfe in Anspruch nehmen will. Im ganzen Stück werden dokumentarische Videoaufnahmen gezeigt, deren Wahrheitsgehalt zugleich immer wieder subtil in Frage gestellt wird. Das Stück kulminiert in einer Aufnahme, die anscheinend zeigt, wie die Frau stirbt.

Mein Dissertationsprojekt basiert vorrangig auf dem Fiktionalitätskonzept des Narratologen Gérard Genette, ist aber auch anderer Fiktionalitätstheorien eingedenk. Genette definierte Fiktionalität und Faktualität als Erzählmodi, die durch verschiedene Konfigurationen von Identität und Differenz von Erzähler, Autor und Person geschieden sind. Auch wenn dieses Modell von Identität und Differenz nicht einfach übertragbar ist, kann es adaptiert werden, um Einsichten in Erzählmodi des Performancetheaters zu gewinnen. Mithilfe dieser Theorie wird das Dissertationsprojekt Theaterproduktionen aus der Schweizer und Deutschen Freien Szene untersuchen, um zu verstehen, wie, von wem und zu welchem Zweck dort dramaturgische und inszenatorische Strategien genutzt werden, um fiktionale Kippfiguren zu erzeugen.